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Datenraum statt Datenkrake für CO2-Fußabdruck:
Ein gemeinschaftlicher Ansatz zur nachhaltigen Datennutzung

Die glob­ale Diskus­sion um den Kli­mawan­del und die Notwendigkeit zur Reduk­tion von Treibhaus­gasemissionen hat die Lebens­mittelindustrie, und hier vor allem die Fleis­ch­pro­duk­tion, in den Fokus gerückt. Während die Fleisch­wirtschaft eine bedeu­tende Rolle in der glob­alen Ernährungssicherung spielt, ste­ht sie gle­ichzeit­ig vor der Her­aus­forderung, ihren ökol­o­gis­chen Fußab­druck zu min­imieren. In diesem Kon­text gewin­nen Reg­ulierun­gen zur Erfas­sung und Reduk­tion des CO2-Fußab­drucks in der Fleisch­produktion zunehmend an Bedeu­tung. Auf EU-Ebene ist der Green Deal der Europäis­chen Kom­mis­sion ein zen­traler Rah­men, der ambi­tion­ierte Ziele zur Reduk­tion von Treib­haus­gase­mis­sio­nen in allen Sek­toren, ein­schließlich der Landwirt­schaft und Lebens­mit­tel­pro­duk­tion, vorgibt. Ins­beson­dere die Richtlin­ie zur Nach­haltigkeits­berichter­stat­tung von Unternehmen (CSRD) fordert eine trans­par­ente Offen­le­gung von Umweltkenn­zahlen, ein­schließlich CO2-Emis­sio­nen. Auf nationaler Ebene spiegeln sich die europäis­chen Vor­gaben im Kli­maschutzge­setz und den dazuge­höri­gen Maßnahmen­programmen wider. Doch wie kön­nen Land­wirte und fleis­chver­ar­bei­t­ende Betriebe ihrer zukün­fti­gen Bericht­spflicht nachkom­men, ohne die Kon­trolle über wertvolle Betriebs­daten aus der Hand zu geben?

Zunächst wer­den es die großen Betriebe sein, die für ihre Bericht­spflicht­en die Emis­sions­dat­en der gesamten Liefer­kette ein­fordern müssen – etwa die Fleis­chver­ar­beit­er, die auf die Werte ihrer zuliefer­n­den Tier­hal­ter angewiesen sind. In der Branche gibt es bere­its Bestre­bun­gen, den Land­wirten die Berech­nung ihres indi­vidu­ellen CO2-Fußab­drucks durch zen­trale Lösun­gen abzunehmen. Kri­tik­er jedoch war­nen davor, dass hier­für wesentliche Betrieb­s­dat­en und die Kon­trolle über deren Nutzung in fremde Hände gegeben wer­den müssen. So etwa Hel­mut Voß­mann, Geschäfts­führer von agma­da­ta: „Wer noch nicht begrif­f­en hat, dass Dat­en ein wertvolles Wirtschaftsgut sind, sollte sich das Geschäftsmod­ell von Google oder Meta vor Augen führen“, fasst er die Lage zusam­men. Statt zur zen­tralen Daten­spe­icherung bei einem kom­merziellen Anbi­eter rät er zur gemein­schaftlichen Daten­nutzung in soge­nan­nten Daten­räu­men (engl. Data Spaces). „Statt alle Rechte an die große Datenkrake abzugeben, verbleibt bei diesem Mod­ell die Kon­trolle über alle Dat­en weit­er­hin bei dem­jeni­gen, der sie zur gemein­schaftlichen Nutzung beis­teuert.“

Datenräume für Souveränität und Sicherheit

Mit einem „Daten­raum“ ist ein stan­dar­d­isiert­er und sicher­er Rah­men für den Date­naus­tausch zwis­chen ver­schiede­nen Akteuren gemeint. Die Grun­didee ist es, Dat­en sou­verän zu teilen und zu nutzen, ohne die Kon­trolle über die eige­nen Dat­en zu ver­lieren. Dieser Ansatz fußt auf der Erken­nt­nis, dass Unter­nehmen, ins­beson­dere kleine und mit­tlere Betriebe (KMU), oft auf einem Schatz an Geschäfts­dat­en sitzen, die jedoch auf­grund fehlen­der Infra­struk­tur und Stan­dards kaum genutzt wer­den kön­nen. Als Lösung bilden Daten­räume eine Art Ökosys­tem, in dem Dat­en sich­er und effizient aus­ge­tauscht wer­den kön­nen. Dazu gehören gemein­same Stan­dards für Daten­for­mate und Schnittstellen, aber auch Mecha­nismen zur Sich­er­stel­lung der Daten­souveränität und ‑sicher­heit. Teil­nehmer eines Daten­raums kön­nen selb­st bes­tim­men, welche Dat­en sie mit wem teilen und wie diese genutzt wer­den dür­fen. Niedrige Ein­tritts­barrieren und Transaktions­kosten ermöglichen es auch kleineren Unternehmen, an diesem Öko­system teilzunehmen und von den Vorteilen des Date­naus­tausches zu prof­i­tieren.

Ein konkretes Beispiel für einen solchen Daten­raum ist der „Green Deal Data Space“. Ursprünglich ent­stand dieser Ansatz aus einem Forschungs­projekt im Bere­ich Resilienz und Krisen­man­age­ment. Ger­ade für die Fleischin­dus­trie, die oft mit kom­plex­en und glob­alen Liefer­ket­ten sowie Fra­gen der Nach­haltigkeit kon­fron­tiert ist, bietet dieser Ansatz inter­es­sante Per­spek­tiv­en. Der Green Deal Data Space real­isiert näm­lich bere­its den Use Case „CO2 Emis­sion Data Shar­ing“ und kön­nte damit auch eine Plat­tform bieten, um diese Dat­en ent­lang der Pro­duk­tions­kette für tierische Lebens­mit­tel gemein­sam zu nutzen.

„Das Grund­muster eines Daten­raums ist, dass die Dat­en an der Quelle bleiben und nur bei Bedarf über Kon­nek­toren aus­ge­tauscht wer­den“, erk­lärt Jür­gen Bret­feld, Vor­sitzen­der des Green Deal Data­space e.V. Dies gewährleis­tet eine hohe Daten­sicherheit und ver­hin­dert Mono­pole, in denen zen­trale Akteure die Kon­trolle über große Daten­men­gen erlan­gen. Anstatt dass Land­wirte und Fleis­ch­pro­duzen­ten ihre Dat­en an eine zen­trale Organ­i­sa­tion über­mit­teln müssen, kön­nten sie über einen Daten­raum selb­st bes­tim­men, wer welche Infor­ma­tio­nen erhält.

Daten werden zum neuen Wirtschaftsgut

Ein oft disku­tiert­er Punkt ist die Frage: Warum sollte ein Unternehmen über­haupt seine Dat­en teilen? Schließlich prof­i­tieren vor allem die Daten­nutzer, während die Bere­it­steller oft keinen direk­ten Vorteil sehen. Bret­feld betont, dass genau hier neue Geschäftsmod­elle greifen müssen. „Wenn Dat­en einen wirtschaftlichen Wert haben, muss der­jenige, der sie bere­it­stellt, auch davon prof­i­tieren“, sagt er. In Daten­räu­men kön­nte dies durch Lizenz­mod­elle oder Umsatz­betei­ligungen geregelt wer­den. Ein Land­wirt, der beispiel­sweise Dat­en zu Füt­terungsmeth­o­d­en oder zum Energie­ver­brauch bere­it­stellt, würde bei der kom­merziellen Nutzung dieser Dat­en mitver­di­enen.

Für diesen Inter­essen­saus­gle­ich zwis­chen Datenge­ber und Daten­nehmer ist ein soge­nan­nter Daten­treuhän­der ver­ant­wortlich, ohne den kein Daten­raum auskommt. Hierzu gehören Mech­a­nis­men, die Wert­schöpfung aus der Daten­nutzung fair zu verteilen. „Durch trans­par­ente Nutzungs­be­din­gun­gen und gegebe­nen­falls finanzielle Kom­pen­sa­tio­nen für die Daten­bere­it­stel­lung kön­nen Anreize geschaf­fen wer­den, die zur aktiv­en Teil­nahme am Daten­raum motivieren“, bestätigt Lars Nagel, Geschäfts­führer der Inter­na­tion­al Data Spaces Asso­ci­a­tion (IDSA). Die gemein­nützige Organ­i­sa­tion, ursprünglich vom Fraun­hofer Insti­tut gegrün­det, ver­tritt mit­tler­weile über 140 Mit­glieder in mehr als 26 Län­dern.

Mit dem Inter­na­tion­al Data Spaces Ref­er­ence Archi­tec­ture Mod­el stellt die IDSA einen Rah­men für die Gewährleis­tung eines ver­trauenswürdi­gen Date­naus­tauschs zur Ver­fügung, der die Schlüs­selkonzepte in Bezug auf Daten­sou­veränität, gemein­same Daten­nutzung und Daten­austausch definiert. Im Gegen­satz zu kom­merziellen Plat­tfor­men, die auf Gewin­n­max­imierung aus­gerichtet sind, ist die IDSA eine Non-Prof­it-Organ­i­sa­tion. „Ziel unser­er Orga­nisation wie jedes IDSA-kom­pat­i­blen Daten­raums ist es nicht, Gewinne zu max­imieren, son­dern durch eine gemein­same Infra­struk­tur nach­haltige Pro­jek­te zu fördern“, fasst Nagel zusam­men.

Im Idealfall profitieren alle

Für die Fleischin­dus­trie bedeutet dies, dass Daten­räume und Daten­treuhän­der-Mod­elle eine vielver­sprechende Alter­na­tive zu zen­tral­isierten Daten­plat­tfor­men darstellen. Sie ermöglichen es Unternehmen, die Chan­cen der Dig­i­tal­isierung zu nutzen, ohne die Kon­trolle über ihre Dat­en zu ver­lieren – sei es nun beim effizien­ten Ein­satz von Ressourcen, der Verbesserung von Tierwohl­standards oder eben der Berech­nung des CO₂-Fußab­drucks in der Fleisch­produktion. Durch die Teil­nahme an solchen Ökosys­te­men kön­nen Betriebe ihre Wet­tbe­werb­s­fähigkeit stärken, neue Geschäftsmod­elle entwick­eln und einen Beitrag zu ein­er nach­haltigeren und resilien­teren Wirt­schaft leis­ten.

„Jedem einzel­nen Akteur muss bewusst sein, dass er nur erfol­gre­ich sein kann, wenn die gesamte Kette erfol­gre­ich arbeit­et“, bringt es Voß­mann auf den Punkt. „Jet­zt ist der richtige Zeit­punkt, sich mit diesem Konzept auseinan­derzuset­zen – denn die Zukun­ft ist dig­i­tal, dezen­tral und datengetrieben.“